Graffiti im Hafen von Shëngjin

Was bewegt zivilgesellschaftliche Akteur*innen zu ihrem Protest und Widerstand gegen das Italien-Albanien-Protokoll?

Amelie Brockhaus
Graffiti im Hafen von Shëngjin
Foto: Amelie Brockhaus
Hinweis

Dieser Blogbeitrag ist im Rahmen eines Projektes des Zentrum für Rechtsextremismus-forschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration (KomRex) der Friedrich-Schiller-Universität Jena entstanden und wurde gefördert durch das Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit "Denk Bunt" des Thüringer Ministerium für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie (TMSGAF). Die Verantwortung für den Inhalt liegt ausschließlich bei den Autor:innen. Die hier publizierten Inhalte stellen keine Meinungsäußerung des KomRex oder des TMSGAF dar.

Eingangstor zur (Gefängnis-)Einrichtung

Foto: Amelie Brockhaus

Es sind über 35° und die Sonne scheint unerbittlich auf mich und die (Gefängnis-)Einrichtung im albanischen Dorf Gjadër herunter, als ich hier im Juni 2025 entlang gehe. Die silbern glänzenden Mauern stechen in der ansonsten ländlichen Region Nordalbaniens sofort heraus. Hinter ihnen befinden sich mehrere graue Baucontainer, teilweise aufeinandergestapelt, die mancherorts über hohen Mauern hinauslugen. Hier sollen nach dem Vorhaben der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und des albanischen Premierministers Edi Rama Asylanträge von Personen, die das italienische Festland über das Mittelmeer erreichen möchten, ausgelagert werden. Dafür pachtete Italien mit dem Protokoll vom November 2023 zwei Gebiete in Albanien. Im Hafen von Shëngjin wurde hierfür ein Ankunftszentrum und auf einem 20km entfernten Militärgelände im ländlichen Gjadër eine (Gefängnis-)Einrichtung erbaut.
Als ich die grauen Metallmauern des Gefängnisses in Gjadër Richtung Ortskern entlang gehe, stechen mir mehrere Auffälligkeiten ins Auge. Das erste ist ein lilafarbener Sticker mit den Worten „No one is illegal“. Auf der Straße stehen in weißer Schrift die Worte „Stop CPR“ geschrieben. CPR ist eine italienische Abkürzung für Repatriation Detention Centres, auf Deutsch “Rückführungshaftanstalten”.

„Stop CPR“ auf der Straße vor der (Gein Gjadër Gefängnis-)Einrichtung

Foto: Amelie Brockhaus

Was ich hier sah, waren verschiedene Formen von Protest und Widerstand durch italienische und albanische Aktivist*innen, die sich gegen das Protokoll zur Auslagerung von Asylverfahren in ein Drittland außerhalb der EU aussprachen. Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Formen von Protest und Widerstand sie nutzen, was ihre Ziele und Handlungsmotivationen sind und vor welchen Herausforderungen die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in ihrer Arbeit stehen. Insgesamt interviewte ich hierfür vier italienische und fünf albanische Aktivist*innen vor Ort in Albanien oder in einem Videogespräch. Bevor die Ergebnisse präsentiert werden, soll noch einmal ein Überblick gegeben werden, worum es sich bei den Italien-Albanien-Protokoll genau handelt. Abschließend möchte ich aufzeigen, warum die Arbeit der transnationalen Aktivist*innen auch für das Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration (KomRex) von Bedeutung ist.

Was ist das Italien-Albanien-Protokoll?

Wie bereits kurz angesprochen, schlossen Italien und Albanien im November 2023 ein Abkommen in Form eines Protokolls zur Auslagerung der Überprüfung von Asylverfahren für Personen, die von italienischen Grenzbehörden im Mittelmeer aufgefasst wurden. Dies gilt spezifisch für Männer aus sogenannten „sicheren“ Herkunftsländern, wie Bangladesch oder Ägypten, für die im Schnellverfahren entschieden werden soll, ob sie ein Anrecht auf Asyl in Italien haben. Diesen Prozess möchte die italienische Ministerpräsidentin Meloni jedoch als Zeichen der Abschreckung nicht im eigenen Land, sondern in Albanien durchführen lassen.
Dafür wurden zwei Gebiete in Albanien für fünf Jahre unter italienisches Recht gestellt. Italien ist also für alles, was auf dem Gelände passiert, verantwortlich und stellt auch sein eigenes Personal. Ursprünglich war geplant, dass bis zu 3000 männliche Geflüchtete pro Monat den Prozess in Shëngjin und Gjadër durchlaufen sollen (Carrera et al. 2023, 3). Fällt das Asylurteil in Albanien positiv aus, sollten die Person nach Italien einreisen, anderenfalls erfolgt eine Abschiebung von Albanien aus in das Heimatland (Hahne 2024). Aufgrund juristischer Unterbindungen von Seiten der italienischen Gerichte (ebd., 7) und dem Europäischen Gerichtshof (Schulten 2025), die die Einhaltung von Menschenrechten und die Definition von sicheren Herkunftsstaaten kritisierten, kam das Vorhaben jedoch zum Stocken. Seit der Fertigstellung der beiden Zentren im Oktober 2024 sind nur etwa 100 Personen nach Albanien gebracht worden (Santos 2025). Aus diesem Grund hat Italien im März 2025 den Vorschlag vorgebracht, die leerstehenden Räume als Aufnahme- und Rückführungszentren zu nutzen. Dies betrifft Personen, die in Italien einen abgelehnten Asylantrag erhalten haben und auf ihre Abschiebung warten müssen. Am 11. April 2025 wurden erstmalig 40 Männer in die nun als Inhaftierungslager für abgelehnte Asylantragssteller genutzten Einrichtungen überführt (Ernst 2025).
Das Italien-Albanien-Protokoll kennzeichnete somit den ersten Fall, in dem ein EU-Mitgliedsstaat die Auslagerung von Asylverfahren und abgelehnten Asylantragsstellern in einen Drittstaat umsetzte, indem der Drittstaat zuvor nicht durchquert wurde. Rama, der Premierminister Albaniens, sieht die Kooperation mit Italien als solidarische Freundschaftsgeste beider Länder an und verspricht sich im Gegenzug Vorteile in den Beitrittsgesprächen zur Europäischen Union, welches das Land bereits seit 2014 anstrebt (Tidey 2024).

Graffiti im Hafen von Shëngjin

Foto: Amelie Brockhaus

Was bewegt zivilgesellschaftliche Akteur*innen zu ihrem Protest und Widerstand?

Im Juni 2025 reiste ich für meine Masterarbeit nach Albanien, um einerseits Interviews mit den transnationalen Aktivist*innen zu führen und andererseits untersuchen zu können, ob es sichtbare Formen von Protest und Widerstand in Shëngjin, Gjadër und ggf. an weiteren Orten gibt. Im Interview gaben die italienischen und albanischen Aktivist*innen folgende Ziele und Handlungsmotivationen gegenüber dem Protokoll an: Erstens eint sie der gemeinsame Kampf für Menschenrechte, aber auch spezifisch Rechte für Migrant*innen sind ein wichtiger Antrieb für ihr politisches Engagement. Aus diesem Grund wurde zweitens der Ausbau der (transnationalen) Netzwerk- und Organisationsstrukturen mit Fokus auf Migration angestrebt. Für die albanischen Aktivist*innen war es darüber hinaus ein wichtiges Anliegen, mit der albanischen Bevölkerung in Kontakt zu treten und über ihre Kritikpunkte am Protokoll aufzuklären.

Wie bereits angesprochen, erhoffen sich viele albanische Aktivist*innen durch einen Beitritt Albaniens zur EU eine positive Entwicklung für ihr Land. Nachdem nun aber das Protokoll zwischen Italien und Albanien geschlossen wurde, kritisieren sie u.a., dass Albanien wie eine „Müllhalde“ angesehen wird, an der man die europäische Grenz- und Migrationspolitik in Form von (Gefängnis-)Einrichtungen auslagert. Dies wirke sich auch negativ auf das utopische Bild der EU aus, welches früher mit Werten wie Freiheit und Schutz von Menschenrechten assoziiert wurde und zu dem man aufschaute. Nun fragen sich die Aktivist*innen, was sich noch von einem möglichen EU-Beitritt erhofft werden könne. In ihren Augen verspielt das autokratische, korrupte Albanien mit dem Bau der beiden Einrichtungen bereits sein nach außen kommuniziertem Ziel, die Demokratie im Land voranzutreiben, da das Protokoll nicht vom albanischen Präsidenten, sondern vom Premierminister beschlossen wurde (Griffini & Rosina 2024, 11). Auch wurden keine Organisationen in die Planung mit einbezogen, die sich auf die Einhaltung von Menschenrechten fokussieren (Muharremaj & Cami 2024, 7).

Graffiti im Hafen von Shëngjin

Foto: Amelie Brockhaus

Für einen Teil der Aktivist*innen habe das Protokoll außerdem einen neo-kolonialen Bezug, den sie mit ihrer Arbeit kritisieren möchten. Italien und Albanien teilen sich eine gemeinsame Geschichte, zu der auch gehört, dass Italien während des Zweiten Weltkrieges Albanien von 1939-1943 besetzte (Doka & Qiriazi 2022, 10). Im Jahr 1990 nahm Italien außerdem zunächst zehntausende albanische Flüchtlinge auf, die nach Ende des kommunistischen Regimes aus ihrem Land flohen (Godole 2023, 209ff). Als eine Folge der hohen Flüchtlingszahlen verschärfte Italien jedoch seine Politik gegenüber den Albaner*innen und schickte eine Vielzahl in ihre Heimat zurück (Bertsch 2021). Dass Italien im Jahr 2025 nun zwei Gebiete in Albanien pachtet, um dort Asylverfahren auszulagern, ruft demensprechend innerhalb der italienische und albanischen Zivilgesellschaft Kritik hervor.
Mit bspw. Demonstrationen, Petitionen, Social-Media-Beiträgen oder Graffiti bringen die transnationalen Aktivist*innen ihre Anliegen vor. Dabei stoßen sich aber auch auf Hindernisse. Dazu zählen geringe Teilnehmendenzahlen und fehlendes Vertrauen innerhalb der albanischen Gesellschaft gegenüber den Aktivist*innen, aber auch gegenüber dem Erfolg der Proteste. Zusätzlich äußern Anwohner*innen in Gjadër, dass sie ihre Kritik gegenüber dem Protokoll lieber in den privaten Wänden des eigenen Hauses als sichtbar auf offener Straße teilen möchten, auch aus Angst vor politischen Repressionen.

Einordnung in die Forschung des KomRex und Fazit

Zum Schluss möchte ich hervorheben, dass eine Auseinandersetzung mit den vorgestellten Themen auch an die Forschungsschwerpunkte des KomRex anschließt. Das Protokoll bietet einen wichtigen und aktuellen Einblick in die europäische Migrations- und Grenzpolitik, die von rechtsextremen Regierungen, wie die der italienischen Ministerpräsidentin Meloni, instrumentalisiert wird. Durch die versuchte Auslagerung von Asylverfahren oder Abschiebehaft in ein Drittland soll eine medienwirksame Abschreckung erfolgen. Gleichzeitig sind italienische Gefängnisse für ihre hohe Suizidrate, insbesondere unter ausländischen Insass*innen, berüchtigt (Hein 2025).
Dass das Thema der Auslagerung von Asylverfahren auch zukünftig in Deutschland relevant werden könnte, zeigen u.a. die Äußerungen vom Bundeskanzler Merz, denn bekundet sein Interesse am Vorgehen wie in Albanien bei einer Pressekonferenz mit Meloni im Mai 2025 (Die Bundesregierung 2025). Des Weiteren darf in diesem Kontext nicht außer Acht gelassen werden, dass auch Deutschland während des zweiten Weltkrieges, zwischen 1943-1944, Besatzungsmacht in Albanien war (Doka & Qiriazi 2022, 10) und die Aussagen von Merz damit neo-kolonialen Tendenzen aufweisen.
Die Forschungsergebnisse können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, einen Blick auf die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zu werfen, die aktiv für Demokratie und Menschenrechte kämpfen und so ein Zeichen gegen rechtsextremes Gedankengut setzen. Außerdem kann im Falle der albanischen Aktivist*innen aufgezeigt werden, wie sich erstmalig Strukturen und Netzwerke gebildet haben, mit denen sich selbstbewusst gegen die fremdenfeindliche Migrationspolitik des eigenen Landes gestellt wird, trotz der Gefahr politischer Repressionen.

Literatur- und Quellenverzeichnis